Eine Welt für sich direkt hinter der Ostsee

Die Extratour ins Naturschutzgebiet Sehlendorfer Binnensee wartete mit einer Lagune, Hunderten von Küsten-, Wasser- und Wiesenvögeln und botanischen Leckerbissen auf

  • Die Sumpf-Gänsedistel, die mit einer Wuchshöhe von bis zu 4 m aus dem ansonsten von Schilf und Echtem Eibisch dominierten Brackwasserröhricht herausragt, erkennt der Botaniker sogar mit geschlossenen Augen

  • Aiko Huckauf erklärt due Flora und Fauna auf dem Magerrasen am Sehlendorfer Binnensee

  • Beobachtung der Feldlerche

  • Eibisch soweit das Auge reicht

  • Brutfloß für die Flussseeschwalbe

  • Echtes Labkraut


„Ich war schon in vielen Gebieten mit Ihnen, aber das ist hier wirklich was ganz Besonderes!“ bringt es einer der gut 20 Besucher auf den Punkt. „Das ist eine ganz eigene Welt und hier tobt das Leben!“

Die „ganz eigene Welt“ ist das Naturschutzgebiet Sehlendorfer Binnensee direkt hinter dem Ostseestrand. Zum tobenden Leben tragen in erster Linie unzählige Vogelarten bei, deren Rufe durch das Gebiet klingen. Der Binnensee ist eine Besonderheit, die Uneingeweihte eher in Venedig vermuten: Er ist eine echte Lagune! Lagunen entstehen im Lauf der Jahrhunderte durch Sandablagerungen, die sich wie ein Haken zwischen Meer und dem dadurch immer weiter abgetrennten Wasser anlagern: Eben so, wie das beim Sehlendorfer Binnensee der Fall ist. Den Höckerschwänen, die heute zu Hunderten auf dem See schwimmen, dürfte das völlig egal sein. Sie haben einen geschützten Rastplatz gefunden, an dem sie sich zudem die Bäuche vollschlagen können. Eine weitere Einbuchtung des Sees ist dagegen beinahe grau: Graugänse haben es sich hier zum Mausern bequem gemacht. „Das ist das Besondere an diesem Gebiet“, schwärmt Dr. Aiko Huckauf von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, „alle 14 Tage sieht man hier andere Vogelarten. Heute sind es vorwiegend Höckerschwäne, Grau- und Brandgänse, Grau- und Silberreiher, Lach- und Zwergmöwen und Dutzende Flussseschwalben, aber auch Kraniche, Brachvögel, Säbelschnäbler, Uferschnepfen, Rotschenkel, Austernfischer und Kiebitze fühlen sich hier wohl – wenn nicht gerade Seeadler oder Rotmilan über ihnen kreisen.“ Ach übrigens: Wer noch nicht wusste, warum die Kormorane auf der gegenüberliegenden Sandbank so oft ihre Flügel spreizen und sich schütteln: Die spezialisierten Taucher holen sich ihre Beute aus der Wassertiefe. Dazu darf ihr Gefieder nicht trocken, eingefettet und mit viel Luft dazwischen gefüllt sein, so wie das bei anderen gefiederten Kollegen auf dem Wasser der Brauch ist. Nein, bei Kormorans macht man das Gefieder schön nass und fettet nicht, sondern stürzt sich mit nassem, schweren Gefieder in die Tiefe. Wenn man dann den erbeuteten Fisch verspeist hat, setzt man sich auf einen Pfahl – wenn keiner da ist, tut es auch die Sandbank –, breitet die Schwingen aus, schüttelt das Gefieder und lässt sich von Sonne und Wind wieder schön trocknen. Jedem Tierchen sein Pläsierchen! Oder auch: Hut ab und staunen über solche Fertigkeiten!

Eigentlich ist der Flächenmanager der Stiftung ja Botaniker, auch wenn er, insbesondere auf der mit wunderschönen Vogelfotografien dekorierten Aussichtsplattform des NABU, ins Schwärmen über die gefiederten Gäste kommt. „Die Brutflöße, die der NABU hier in Zusammenarbeit mit dem Kreis für die Flussseeschwalben gebaut hat, sind ein Fremdkörper im Naturschutzgebiet und ästhetisch nicht gerade ein Leckerbissen (sehr wahr!), aber ohne sie wären die Gelege längst von Minks oder Füchsen ausgeraubt worden. Die schwimmen auch locker durchs Wasser.“ „Und auch die Wildschweine“, ergänzt eine ortsansässige Besucherin, „die kommen überall hin! Ich habe hier schon richtige Aufläufe von mehr als 100 Tieren gesehen.“

Dass die Mengen an Vögeln hier gut Futter finden, verdanken sie auch den umgebenden Salzwiesen, auf denen attraktive langhörnige Schottische Hochlandrinder als Landschaftspfleger der Stiftung Naturschutz den Aufwuchs kurzfressen und den Wiesenvögeln so gut aufbereitete Flächen zum Stochern präsentieren: „Bitte sehr, die Damen und Herren mit den langen Schnäbeln, hier können Sie nach Herzenslust nach Würmern und Larven stochern! Guten Appetit!“

Aber auch der Botaniker Huckauf kommt auf seine Kosten: „Ich lege hier einmal eine Pflanze hin. Wer vorbeikommt, kann sich ein Blättchen nehmen (Corona-konform, ohne den Rest der Pflanze zu berühren), daran riechen und überlegen, was es sein könnte!“ Des Rätsels Lösung: Wilder Sellerie! Schmeckt gut. Noch mehr entzückt den Botaniker jedoch ein kleiner Verwandter, den er am Rande eines für Kreuz- und Wechselkröte angelegten Kleingewässers findet: „Kriechender Sellerie! Es gibt nur 3 Gefäßpflanzen und ein Moos in Schleswig-Holstein, die FFH-Anhangsarten sind, und dies ist eine davon. In Schleswig-Holstein Rote Liste 1!“ Für Laien: GANZ selten und GANZ toll! Auch der sehr seltene Wiesen-Wasserfenchel begeistert ihn. Auf dem Trockenrasen des ehemaligen Zeltplatzes Tivoli entdecken wir noch eine andere Schönheit: Das seltene Echte Tausendgüldenkraut, das sich leider aufgrund des einsetzenden Regens ein bisschen ziert und seine hübschen rosa Blüten geschlossen hat. Nicht zu vergessen der extrem seltene Echte Eibisch, der hier zur Freude von Aiko Huckauf in rauen Mengen am Ufer des Sees wächst: „Althaea officinalis!“ erklärt er. „Wie der sich nur all die lateinischen Namen merken kann“, murmelt ein Teilnehmer und ist erleichtert, dass Huckauf bei den folgenden Pflanzen auch der deutsche Name einfällt. Botaniker denken einfach zuerst lateinisch und dann deutsch. Überall leuchtet es gelb auf den Wiesen: Das Echte Labkraut zeigt sich in voller Pracht, unterbrochen von den wenig erwünschten Kartoffel-Rosen, die mit ihren rosa Blüten zwar hübsch aussehen und auch Insekten als Nahrungsquelle dienen, aber alles überwuchern, wenn ihnen niemand Einhalt gebietet. Hier ist es eine Ziegenherde, die ihr Bestes tut, um Genuss mit Naturschutz zu vereinen: Sie verbeißen die Rosen, so gut sie können, und es schmeckt ihnen sogar. Den Teilnehmenden scheint es gefallen zu haben: Sie haben alle ein Lächeln im Gesicht, als sie sich verabschieden.