Bescheidene Schönheiten mit Seltenheitswert

Die Feuchtgrünlandwiese am Pferdestrom der Windberger Niederung entpuppte sich beim zweiten Blick als Schatzkästchen für Feuchtigkeit liebende Kräuter und Gräser


„Kommen Sie mit uns auf die legendäre-Wiesenknopfwiese!“ stand in der Ankündigung. „Ja, was ist daran legendär?“ fragt sich die Nicht-Botanikerin etwas ratlos, als sie vor wogenden Gräsern steht. Die gelben Wasserschwertlilien, die am Grabenrand blühen: Sehr hübsch, aber so selten nun auch wieder nicht… Auch die Rohrweihe, die während der gesamten Exkursion über der endlosen Niederung kreist, ist beeindruckend – aber legendär??

Drei Schritte hinein ins hohe Gras – und da steht sie zu Dutzenden, die „Blume des Jahres 2021“, der Große Wiesenknopf.

„Sanguisorba officinalis, der lateinische Name, der übersetzt „Blut einsaugend“ bedeutet, weist ganz klar auf die Heilwirkung der Pflanze hin“, so Svenja Holst von der Loki-Schmidt-Stiftung. Diese hat den Großen Wiesenknopf zur Blume des Jahres gekürt. Seit 1980 rückt sie mit der Wahl der „Blume des Jahres“ jedes Jahr einen bedrohten Lebensraum in den Blickpunkt. Diesmal sind es extensiv genutzte Feuchtwiesen, die der Große Wiesenknopf zum Leben braucht. Sie sind in der intensiv genutzten Landwirtschaft nicht beliebt: Zu wenig Ertrag, zu schlechte Futterqualität und aufgrund der Nässe sehr schwer zu bewirtschaften.

Deswegen ist diese Wiese auch nie umgebrochen worden, um eine neue Grünland-Aansaat zu machen. „Das macht diese Wiese so besonders“, erklärt Christian Dolnik von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein. Wir befinden uns einen 1 Meter m unter Normalnull auf dem Boden des ehemaligen Windberger Sees.“ Seit vielen Jahren wird hier nicht mehr gedüngt. Deshalb wachsen auf dem moorigen Untergrund nicht die üblichen landwirtschaftlichen Futtergräser wachsen, sondern viele Sauergräser. „Ganze Kleinseggengesellschaften finden sich hier – eine absolute Besonderheit!“ freut sich der Biologe. „Wiesenseggen sind charakteristisch für sehr feuchte alte Heuwiesen, die einmal im Jahr gemäht wurden. Und hier stehen auch Grausegge und Kammsegge! Das ist ein fast verloren gegangener Lebensraum!“

Bereits eine Stunde stehen wir an derselben Stelle, nur fünf 5 Meter vom Spurweg entfernt, und immer noch gibt es weitere Arten zu entdecken: Rotschwingel, Straußgras, Gilbweiderich – und immer wieder der dunkelrote Große Wiesenknopf, der nicht nur Blut stillende Wirkung hat, sondern auch zur Wundbehandlung und gegen Durchfall eingesetzt wurde. Und bei genauem Hinschnuppern riecht er tatsächlich ein wenig nach Blut! Für uns zweibeinige Besucher duftet das weniger attraktiv als für Fliegen, Käfer und Wanzen, die der Kombination aus Fleischfarbe und blutiger Parfumnote kaum widerstehen können. So tun sie ihre Pflicht als Bestäuber und tragen die Pollen von einer Blüte zur Nächsten. Wer bisher dachte, dass das alles nur Bienen und Schmetterlinge erledigen, wird hier eines Besseren belehrt.

Wir gehen ein Stück weiter in die Wiese hinein. Flammenden Hahnenfuß, der es im Gegensatz zu seinem bekannteren Kollegen, dem Scharfen Hahnenfuß, besonders feucht mag, Kuckuckslichtnelke, Gelbe Wiesenraute, Sumpflabkraut, Sumpfhornklee und die extrem seltene Sumpf-Platterbse begleiten uns. Inzwischen gehen uns Gräser und Seggen bis fast an die Brust. „Hier wird es nasser, wir sind näher am Grundwasser und haben einen nährstoffreicheren Boden“ kommentiert Christian Dolnik. „ Dieser Bewuchs lässt auch darauf schließen, dass hier gar keine Bewirtschaftung stattgefunden hat, weil es zu nass ist.“
„Jetzt schwimmen wir durch die Wiese!“ freut sich eine Teilnehmerin, die in dem wogenden Gräsermeer fast verschwindet.

Nach zwei Stunden haben wir noch nicht einmal einen Kilometer Strecke, dafür aber die Bekanntschaft eines vielfältigen und überraschend artenreichen Lebensraumes gemacht, der sich nur denen erschließt, die sich auf ihn einlassen – und die einen versierten Botaniker bei sich haben.

Auf der anderen Seite der ehemaligen Seeniederung befinden wir uns nach kurzer Autofahrt in einer gänzlich anderen Landschaft: Auf einer Binnendüne bei Elpersbüttelerdonn. Hier renaturiert das „Bündnis Naturschutz in Dithmarschen“ seit 2011 Heideflächen. „Wir haben Boden abgetragen, um der Heide auf dem Sand wieder eine Chance zu geben“ erklärt Inken Mauscherning vom Bündnis. „Aber die aus Amerika eingeschleppte Spätblühende Traubenkirsche macht uns immer wieder zu schaffen. Einmal im Jahr hilft uns eine Burenziegenherde bei der Bekämpfung und verbeißt einen Teil der Pflanzen. Aber manchmal müssen wir mit dem Bagger ran, um die Stumpen aus dem Boden zu reißen!“ Wildblumen wie Arnika und Färberscharte wurden hier wieder angesiedelt. Die Arnika hat sich bei der heißen Witterung leider schon verabschiedet und zeigt uns nur noch ihre verwelkten Blütenblätter. Dafür begrüßen uns Bergsandglöckchen und Englischer Ginster – Hungerkünstler, die sich auch auf ärmsten Boden behaupten.

Erst im Gräsermeer schwimmen und zuletzt im Heidesand landen: Das war eine Extratour der Kontraste!