Magnus und die Meckertrolls

'Ach wie schön ist doch die Welt' dachte Magnus, als er sein Gesicht in die warme Frühlingssonne streckte. Es war bereits später Nachmittag, als er von seiner Arbeit im Raum der tausend Dinge kam, aber das machte ihm nichts aus. Das Einzige an was er momentan denken konnte war sie. Sie, in die er sich Hals über Kopf oder vielleicht eher passend Herz über Kopf verliebt hatte. Sie mit ihren wunderschönen moosgrünen Augen, mit ihrer elefantengleichen Anmut und mit ihrer bärenähnlichen Stärke. Es interessierte ihn nicht, dass sie mehr als zwei Köpfe größer war als er, denn er wusste es genau: Sie waren für einander bestimmt und niemand würde ihn je davon abbringen können.

Völlig in seinen Gedanken verloren lief Magnus so durch sein Dorf. Der Wichtel achtete nicht auf die amüsierten Blicke der anderen Wichtel, er hörte den Warnruf von Mina nicht und er bemerkte erst viel zu spät, dass er schon bei dem kleinen Fluss angelangt war, welcher sich zwischen den Wichtelhäusern hindurch schlängelte. Mit einem lauten Platsch wurde er mit einem Mal wieder in die Realität zurückgeholt. Er begann wie wild zu strampeln, geschockt von dem plötzlichen Ortswechsel um zu registrieren, was da genau vor sich ging. Auf einmal fühlte er wie eine Hand nach ihm griff und ihn an die Oberfläche zog. Hustend und prustend hievte er sich ans Ufer und setzte sich an den Rand des Flusses. „Alles okay?“, hörte er jemanden fragen. Besorgt kniete Mina neben ihm und klopfte auf seinen Rücken. Er nickte und sie stoppte. Erst jetzt bemerkte er, wie die anderen Wichtel sich vor lauter Lachen kaum mehr aufrecht halten konnten und er spürte wie sein Gesicht so rot wie eine reife Tomate anlief. Als Mina das bemerkte, zog sie ihn schnell auf die Füße und gemeinsam liefen sie das restliche Stück zu Magnus Haus.

Mina zog hinter sich die Tür ins Schloss und betrachtete den triefenden Wichtel, der vor ihr stand. Sie konnte einfach nicht anders als die Ähnlichkeit zu einem nassen Pudel festzustellen und so prustete sie los. Schon bald stimmte Magnus in ihr Gelächter ein und so saßen die beiden irgendwann zusammen auf dem Boden und lachten bis ihnen die Tränen in die Augen traten. Nachdem sie vor lauter Bauchschmerzen nicht mehr lachen konnten entschuldigte sich Magnus um etwas Trockenes anzuziehen und Mina schnappte sich eine Banane und setzte sich auf den Tisch hinter ihr. Nach einiger Zeit kam Magnus zurück in das Zimmer und setzte sich zu Mina. „Nun musst du aber auch erzählen was mit dir los ist! Du bist schon seit Wochen immer ganz wo anders mit deinen Gedanken!“, meinte Mina und schaute ihn mit großen Augen an. Magnus hatte schon befürchtet, dass dieses Gespräch kommen würde. Schon seit Tagen überlegte er sich Ausreden und Gründe für seine Unaufmerksamkeit und dennoch traf es ihn so unerwartet, wie das unfreiwillige Bad von gerade eben. Schnell wandte er sich ab um seine immer röter werdenden Wangen zu verbergen, doch ohne Erfolg.

Mit lauter Stimme rief Mina auf einmal „Hast du dich etwa verliiiebt?“ Sie grinse breit als Magnus sie wieder ansah. „N-Nein“, sagte er mit wackeliger Stimme während sein Gesicht der Farbe von Erdbeeren immer ähnlicher wurde. Lügen war noch nie seine Stärke gewesen. Minas Grinsen wurde noch viel breiter. „Oh! Ist es Margitta, die den Obststand hat. Oder vielleicht Luna von den Mond-Wichteln. Oder nein nein ich habs, es ist Gretchen von den Bastelwichteln!“ Magnus konnte nicht anders als zu schmunzeln. Sie würde niemals erraten wer es ist, denn sie kannte sie schlichtweg nicht und so schüttelte er einfach den Kopf bei jedem Namen den sie nannte. Irgendwann nachdem sie sämtliche Wichtelinnen, die momentan Single waren, aufgezählt hatte und gerade mit den Wichteln anfangen wollte, unterbrach er sie.

„Mina, Mina, Mina. Stopp du kennst sie nicht!“ Erstaunt kratzte sich Mina den Nacken. „Aber ich kenne doch alle Wichtel weit und breit!“ Magnus überlegte gerade wie viel er ihr sagen wollte als sein Blick auf die Uhr fiel. Er war schon sehr spät dran. Schnell brachte er eine verwirrte Mina zur Tür und verabschiedete sich hastig von ihr, bevor er die Tür zu warf. Er rannte zurück in sein Zimmer und zog sich seine besten Klamotten an, dann putzte er noch schnell die Zähne und lugte zur Tür heraus. Keiner da! Still und leise huschte er herüber zum dunklen Wald, der das Wichteldorf umgab. An dessen Rand blieb er kurz stehen und nochmal sah er hinter sich, um sicher zu gehen, dass ihm keiner folgte. Rasch setzte er dann seinen Weg fort, welchen er schon oft gegangen war. Er kannte ihn schon so gut, dass er sich wieder seinen Gedanken hingeben konnte, ohne Angst zu haben über etwas zu stolpern.

„Deine Augen sind noch schöner als der Anblick des größten Erdbeer-Vanille-Schokoeises, welches man je gegessen hat. Nein. Dein Lachen ist so viel wundervoller, als die selbstgemachten Pfannkuchen von Mama. Nein. Deine Haut ist noch viel grüner, als die strahlendsten Wiesen in der Sommersonne. Nein!“,  murmelte er vor sich hin. Er war so unglaublich schlecht im romantisch sein. Verzweifelt senkte er den Kopf und so pflückte er eine der lilanen Blumen, die Tari so gerne hatte und ging weiter. Als er in die kleine Lichtung vor ihm blickte, begann sein Herz schneller zu schlagen. Dort saß sie und betrachtete den nächtlichen Sternenhimmel. Seine Schritte fühlten sich federleicht an, als er zu ihr lief. „Tari!“ Sofort wandte sie sich von den leuchtenden Sternen ab und sah sich um. Als sie ihn erblickte rannte sie auf ihn zu. Als sie aufeinander trafen hob sie ihn kurzerhand hoch und drückte dem Wichtel einen riesigen Kuss auf die Wange.

„Ich hatte schon befürchtet du kommst nicht“, rief die Meckertrollin, als sie ihn wieder absetzte. „Ich würde mich durch nichts in der Welt davon abhalten lassen.“, meinte Magnus und wurde rot. Gemeinsam legten sich die beiden wieder ins Gras und blickten einander an, während sie über dies und das sprachen. Die Zeit die kümmerte die beiden nicht und auch nicht die Kälte, denn sie hatten einander und das war ihnen genug. Die Beiden verabschiedeten sich erst, als so langsam die ersten Strahlen der Sonne über den Horizont lugten. Tari hielt Magnus fest in ihren Armen und so verharrten sie eine Weile. „Ich wünschte wir müssten uns nicht immer verstecken“, flüsterte Magnus  und drückte sie noch ein wenig fester an sich. „Ich auch“, antwortete Tari ebenso leise und ließ Magnus wieder hinunter. Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick trennte sich das ungleiche Paar und während Magnus zurück in sein Zuhause ging, lief Tari zurück zu der Höhle der Meckertrolls. Sie hasste diesen Ort abgrundtief. Schon als Kind hatte sie jede freie Minute im Wald verbracht. So kam es auch, dass sie Magus kennengelernt hat.

10 Jahre zuvor...

Tari durchstreifte mal wieder ziellos den Wald auf der Suche nach neuen wunderbaren Orten die sie erkunden konnte. Sie hatte das fürchterliche Kleid an welches ihr Vater vor zwei Tagen zu ihrem vierzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Sie fand dieses Kleid so unglaublich fürchterlich, doch sie wusste, dass sie ihrem Vater damit eine Freude machen würde wenn sie es trug, also hatte sie es heute angezogen. Es war in dunklen Grün- und Brauntönen gehalten und sah aus als hätte sich darin schon mal jemand im Schlamm gewälzt. Viel lieber trug sie ihr rosanes Kleid, welches mit pinken und blauen Blumen bestickt war, doch das fand ihr Vater zu auffällig und zu bunt um von einem richtigen Meckertroll getragen zu werden. Er war der König der Meckertrolls und Tari hasste es. Sie beneidete die anderen Trolls, die außerhalb des Waldes lebten und dort ihre Felder bewirtschafteten. Sie sahen so viel glücklicher aus und wirkten viel freier als sie es je sein würde, denn sie wurde als Meckertroll geboren und dann hatte man sich auch wie ein Meckertroll zu benehmen.

Während sie so in ihren Gedanken versunken war, achtete Tari gar nicht mehr darauf wohin sie lief und erst viel zu spät bemerkte sie, dass sie den Schlangensumpf erreicht hatte. Sie war bereits bis zu den Knien im Schlamm versunken und dazu hörte sie schon, wie die Schlangen herbei schlängelten. Verzweifelt versuchte sie ihre Beine wieder aus dem Schlamm zu befreien, doch je mehr sie es versuchte, desto schneller sank sie ein. Das Züngeln um sie herum wurde immer lauter und da hatte sie die erste Schlange schon erreicht. „Hilfe!“, schrie Tari verzweifelt. „Hilfe!“ Sie wusste, dass die Wahrscheinlichkeit jemand hörte ihr Rufe, verschwindend gering war, doch es war ihre einzige Chance hier jemals wieder herauszukommen. „Hilfe!“ Plötzlich hörte sie ein lautes Knacken hinter sich und das Geräusch von Schritten die sich näherten. „Hilfe! Ich bin hier! Hilfe!“ Da kam er angelaufen. Magnus, ihr Ritter in der silbernen Rüstung. Obwohl sie ganz klar ein Meckertroll und er ein Wichtel war, zögerte er nicht einen einzigen Moment.

„Halt ganz still! Sonst sinkst du nur noch schneller ein“, rief er ihr zu und lärmte so laut herum bis die Schlangen endlich verschwunden waren. In der Zwischenzeit steckte sie bis zur Hüfte im Schlamm fest. Schnell machte er sich an einer Liane zu schaffen, die von einem der Bäume hing. Mit einem Messer schnitt er sie herunter und warf ihr das eine Ende zu. „Schnell schnapp sie dir und leg dich ganz flach auf den Bauch!“, rief er ihr zu, während er das andere Ende der Liane an einen der Bäume band. Sie tat was er ihr sagte. „Gut, nun versuch dich langsam an der Liane heraus zu ziehen.“ Tari klammerte sich so fest sie nur konnte an die Liane und zog an ihr so gut sie konnte. Auch Magnus zog am Rande des Sumpfes und langsam merkte Tari wie sich ihre Beine aus dem Schlamm befreiten. Sie zog sich immer weiter vor, bis sie endlich wieder festen Boden spürte. Am liebsten hätte sie den Wichtel gerade umarmt doch mit ihrem vom Schlamm überzogenen Kleid, war das vermutlich nicht die beste Idee. Auf einmal fühlte sie sich sehr unwohl wie sie so an sich herunterblickte und sie merkte wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Schüchtern griff sie sich an den Hals bevor sie ein leises 'Danke' herausbrachte.

„Keine Ursache“, sagte Magnus und grinste sie an. „Na komm ich bring dich zu einem kleinen Bach in der Nähe. Dort kannst du dich waschen.“ Tari nickte und gemeinsam machten sich die beiden auf den Weg. „Mein Name ist übrigens Magnus“, stellte sich der Wichtel vor. „Ich heiße Tari.“ Die Meckertrollin lächelte sanft. „Schön dich kennen zu lernen Tari“, entgegnete ihr Magnus.

Heute...

Seitdem trafen sie sich jede Woche auf dieser kleinen Lichtung und aus ihrer anfänglichen Freundschaft wurde langsam mehr. Tari konnte nicht anders als bei dem Gedanken daran zu lächeln. So leise wie möglich schlüpfte sie zurück in die Höhle der Meckertrolls und dann zu der Wohnung, die sie sich mit ihrem Vater teilte. So leise wie möglich schlüpfte sie hinein und sie wollte gerade die Treppe hinauf schleichen, als sie ihren Vater aus dem Wohnzimmer rufen hörte. „Tari! Komm mal her!“ Sie ließ ihre Schuhe auf der Treppe stehen und ging zu ihrem Vater. „Wo bist du gewesen?“ Er vergeudete keine Zeit. „Das geht dich gar nichts an.“ antwortete sie. Er packte sie grob an ihrem Arm. „Ich frage dich noch einmal: WO BIST DU GEWESEN?“ Tari riss sich los. „Und ich sage es dir noch einmal: Es geht dich nichts an! Ich bin erwachsen und kann tun was ich möchte!“ Sie wusste, dass er nun innerlich kochte, aber das war ihr egal. „Das geht mich sehr wohl was an! Ich bin dein Vater und der König der Meckertrolls. Mein Wille ist das Gesetz! Ich denke es wird Zeit für dich zu heiraten. Soll sich doch ein anderer mit dir herumschlagen. Vielleicht hört es dann ja endlich auf mit dieser nächtlichen Herumschleicherei!“ Tari fühlte, wie sie vor Wut rot anlief. „Das kannst du nicht...das würdest du nicht wagen!“ Der König starrte sie böse an. Womit hatte er nur so ein Balg verdient. „Dann kennst du mich schlecht und nun Marsch auf dein Zimmer!“ Wütend stürmte Tari die Treppen hinauf und knallte die Tür hinter sich zu. Ihr Vater folgte ihr wenig später und Tari konnte hören wie die Türe verschlossen würde. Sie stürzte zur Tür und hämmerte wie wild dagegen. „Mach die verfluchte Tür auf!“ Doch der König war bereits wieder nach unten verschwunden.

Seufzend lehnte sich Tari gegen die Tür und rutschte daran nach unten. „Was mache ich denn jetzt bloß?“, fragte sie sich selbst und da fiel ihr Blick auf den alten Rucksack unter ihrem Bett. Er hatte ihrem Großvater Fips gehört. Letztes Jahr hatte er ihn ihr dann geschenkt, nach dem ihr Vater mal wieder komplett verrückt gespielt hatte. Damals ist alles noch gut ausgegangen, aber jetzt war die Zeit gekommen den Rucksack einzusetzen. Tari stopfte zunächst einige Klamotten hinein bevor sie ihre Schränke nach allem durchstöberte was ihr wichtig war. Zu guter Letzt nahm sie noch das Bild von ihrem Nachttisch. Es zeigte ihre Mutter, die gestorben war, als Tari 10 war. Sie drückte das Bild an sich bevor sie es in ein Tuch einschlug und in den Rucksack legte, welchen sie anschließend direkt verschloss. Als nächstes nahm sie eine Schublade aus ihrem Nachtschränkchen heraus und kippte den Inhalt auf ihr Bett. Darunter hatte sie einen Schlüssel für ihr Zimmer befestigt. Ein guter Freund hatte ihn für sie angefertigt, nachdem ihr Vater sie das letzte Mal einen kompletten Tag lang ohne Essen und Trinken eingesperrt hatte. Nun hieß es nur noch warten. Es war Dienstag und somit müsste ihr Vater in einer viertel Stunde das Haus verlassen um zu einer Sitzung zu gehen, dann war ihre Zeit gekommen. Während Tari ihren Blick so durch ihr Zimmer schweifen ließ entdeckte sie noch auf eine letzte Sache, die ihr bei ihrer Flucht behilflich sein würde. Die Perücke. Ein guter Freund von ihr wollte schon immer Friseur werden und daran hatte er immer geübt, wenn er bei ihr war. Er war wirklich gut, doch seine Eltern wollten lieber dass er zu den Trolltrupps geht, um nach Wichtel Ausschau zu halten, die sich im Wald herumtrieben. Er hasste es dort und deshalb ist er schon vor einer ganzen Weile abgehauen. Er hatte sie sogar gefragt, ob sie mitkommen wollte, doch Tari wollte ihren Vater nicht komplett alleine lassen. Damals hatte sie noch die Hoffnung, dass er wieder so werden würde wie früher, als er noch der coole Papa war den sie liebte. Er musste nur über den Tod von Ihrer Mutter hinweg kommen, aber nun 14 Jahre später ist er immer noch der verbitterte Mann, welcher er damals schon war.

Pünktlich wie immer hörte Tari die Türe ins Schloss fallen. Sie wartete noch fünf Minuten und schloss dann ihre Tür auf. Leise schlich sie die Treppen runter und in die Küche. Auf einmal gab es einen Schlag und die Tür wurde aufgestoßen. Tari fühlte wie ihre Atmung immer schneller wurde, während die Schritte näher kamen. Dann hörte sie wie etwas zu Boden fiel und ihr Vater fluchte. Langsam entfernten sich die Schritte wieder und die Haustür fiel wieder ins Schloss. Tari holte noch einmal tief Luft und schnappte sich dann einen Apfel und etwas Brot bevor sie sich zur Haustür begab. Vorsichtig spähte sie nach draußen. Die Luft war rein. Schnell ging sie hinaus und schloss die Tür, sie hoffte das letzte Mal in ihrem Leben. Doch bevor sie diesen Ort endgültig verließ, musste sie sich noch schnell von zwei Trolls verabschieden, die sie definitiv vermissen würde. Als erstes ging sie zu ihrem Großvater. Dieser hatte zwar nur noch drei Haare auf dem Kopf, jedoch noch mehr Energie wie so manch ein zwanzig jähriger. Als ihr Großvater die Tür öffnete, wusste er sofort was los war und drückte sie nochmal ganz fest an sich. „Schreib mir wenn du einen schönen Ort gefunden hast“ Tari nickte und verkniff sich dabei einige Tränen. Ihr Herz fühlte sich so fürchterlich schwer an, als sich von ihrem Großvater trennte. Ihr zweiter Stopp war die Schmiedewerkstatt.

Dort lebte Rori, ein bulliger Meckertroll der gebaut war wie ein Schrank und immer seine Keule mit sich herum trug. Äußerlich sah er zum Fürchten aus, aber innerlich war er ein totaler Softie. Er begleitete sie noch bis zum Ende der Höhle und dann musste sie sich auch von ihm verabschieden.

Zwar war sie deshalb unglaublich traurig aber dennoch fühlte sie sich mit jedem Schritt, mit dem sie sich von der Meckertroll-Höhle entfernte, glücklicher und freier als je zuvor. Doch wohin sollte sie nun gehen.  Würde sie bei Magnus leben dürfen? War das Wichteldorf damit einverstanden? Vielleicht müsste sie zu den anderen Trollen aufs Land ziehen. Während sie so in Gedanken durch den Wald lief, trugen sie ihre Füße fast schon automatisch zu dem Dorf der Wichtel. Der Raum der tausend Dinge lag zum Glück etwas abseits und deshalb konnte sie sich unbemerkt dort heran schleichen. Vorsichtig lugte sie durch eines der Fenster. Magnus war dort und brütete über einige Plänen. Leise klopfte sie ans Fenster und sein Blick schoss nach oben. Magnus sah sich schnell um bevor er aufstand und zur Tür lief. Wenige Sekunden später war er bei ihr und schloss sie in seine Arme. „Was machst du hier? Ich meine nicht, das ich mich nicht freuen würde dich zu sehen, aber...“ Tari unterbrach ihn. „Ich bin weggelaufen von Zuhause. Ich habe einfach meine Sachen gepackt und bin los.“ Sie strahlte. „Und dein Vater?“, fragte Magnus. „Der wird es noch früh genug herausfinden.“, sagte Tari und versuchte dabei so sorglos wie möglich zu klingen. Magnus grinste. „Eigentlich wollte ich dir den erst nächste Woche auf der Lichtung geben, aber ich denke jetzt passt es noch besser.“ Aus seiner Tasche zog Magnus einen kleinen Schlüssel. „Willst du mit mir zusammenziehen?“ Tari strahlte. „Aber natürlich will ich das!“ Die Tollin hob den Wichtel in die Hohe und küsste ihn. Die beiden merkten gar nicht, dass auf einmal eine weitere Person dazu gekommen war bis sie sich hinter ihnen räusperte.

Mina stand hinter den beiden und grinste von Ohr zu Ohr. Magnus spürte wie er rot wurde. Er holte nochmal tief Luft und sagte dann: „Mina, das ist Tari, meine Freundin.“ Mina ging auf die Trollin zu und streckte ihr die Hand entgegen. „Schön dich endlich Mal kennen zu lernen. Magnus hat mich ganz schön im Dunkeln tappen lassen, was die Person angeht an die er sein Herz verschenkt hat.“ Tari schüttelte Minas Hand und merkte, dass auch sie nun rot wurde. „Eigentlich wollte ich dich ja zum Mittagessen abholen Magnus, aber wie ich sehe habt ihr besseres zu tun.“ Sie deutete auf den Schlüssel in Taris Hand, „Aber ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn ihr beide mich heute Abend besuchen kommt. Danach können wir gemeinsam zum Wichteltreff gehen. Dann könnt ihr das ganze offiziell machen. Natürlich nur, wenn ihr das wollt.“ Das Paar sah sich kurz an bevor sie nickten. Nachdem Magnus seine Schicht beendet hatte, setzten sie ihre Pläne direkt in die Tat um. Zwar waren manche Wichtel beim Wichteltreff etwas skeptisch was den Neuzugang im Dorf anging, aber keiner war gewillt den beiden bei ihrem Glück im Wege zu stehen. Schon bald stellte sich eine neue Routine ein. Die beiden wachten gemeinsam auf und während Magnus weiterhin im Raum der Tausend Dinge arbeitete, war Tari im Lager der Weihnachtsmannwerkstatt eingesetzt, da sie einfach größer war und somit auch leichter die oberen Regale erreichen konnte. Abends kamen beide wieder zuhause gemeinsam an. Tari liebte ihr neues Leben hier im Wichteldorf, doch aus irgendeinem Grund blieb ein flaues Gefühl in ihrem Magen.

Eines Morgens nachdem die beiden zur Arbeit aufgebrochen waren, bewahrheitete sich diese Ahnung. Kurz nachdem sich die Wege der beiden getrennt hatten, fühlte Tari wie sie starke Hände packten und in die Schatten der Gebäude zerrten. Sie versuchte zu schreien, doch eine riesige Hand wurde ihr auf den Mund gepresst und kein Ton kam heraus.

Eine Weile später...

„Hmm“, murmelte Mina. Tari hatte sich noch nicht zum Dienst gemeldet. Normalerweise würde sie dem erst am zweiten Tag nachgehen, doch irgendwie hatte sie ein schlechtes Gefühl bei dem Ganzen. Schnell lief sie zum Telefon und rief beim Raum der Tausend Dinge an. Magnus ging ans Telefon. „Hallo Magnus. Sag mal weißt du wieso Tari heute nicht zur Arbeit gekommen ist?“ Magnus wurde blass. Tari hatte ihm vor einigen Tagen erzählt, dass sie das Gefühl hatte verfolgt zu werden,  aber er hatte sie beschwichtigt und gemeint, dass es vermutlich nur Einbildung ist. Er erzählte Mina natürlich sofort davon und die beiden rannten dann umgehend zum Weihnachtsmann und stürmten in sein Arbeitszimmer. „Nanu Mina du schon wieder. Ich hoffe die Sternenkinder sind noch alle am Himmel“, sagte der Weihnachtsmann bevor er von seinen Plänen aufsah. Als er in die ernsten Gesichter der beiden schaute wusste er plötzlich, dass etwas ganz fürchterlich falsch sein musste. „Erzählt mir alles“, sagte er nur und die beiden begannen zu erzählen was passiert war.

Nachdem er sich alles angehört hatte meinte der Weihnachtsmann: „Sie ist seit ungefähr einer Stunde nicht mehr gesehen worden, korrekt?“ Die Wichtel nickten. „Dann können sie noch nicht so weit sein. Schickt die Wichtel, Rentiere, Schlittenhunde und alles andere was wir haben los!“, rief er dann zur Tür heraus, „Wir werden sie finden Magnus.“ Er legte dem Wichtel eine Hand auf die Schulter.

Anderswo...

„Ich gebe zu, dass du mich wirklich an der Nase herum geführt hast. Bei den Wichteln war wirklich der letzte Ort wo ich dich gesucht habe. Dachtest du wirklich du könntest einfach so verschwinden? Noch dazu mit so einem... einem... einem Wichtel?“ Nervös ging der König der Meckertrolls auf und ab. Er hatte Tari in einen verlassenen Bunker gebracht und ihre Hände hinter einem der Balken zusammengebunden. „Du wirst mich nicht auch noch verlassen. Nein auf gar keinen Fall wirst du das tun!“ Tari zitterte am ganzen Leib. So außer sich hatte sie ihren Vater noch nie erlebt und sie fürchtete sich davor, was er als nächstes tun würde. „Sie sollen still sein. Mach das sie still sind.“ Verzweifelt presste der alte Meckertroll sich die Hände auf die Ohren.

„Papa. Bitte lass uns reden. Warum machst du mir nicht die Hände los? Dann können wir dort am Tisch alles besprechen.“ Der Troll ging noch immer auf und ab in dem Bunker. „Du willst doch nur, dass ich dich losmache, sodass du verschwinden kannst und mich alleine lassen kannst, so wie es deine Mutter auch getan hat.“ Tari tastete hinter sich den Boden und den Balken ab, nach irgendetwas was sie verwenden konnte um ihre Fesseln zu lösen. Treffer, ein Nagel stand ein kleines Stück aus dem Boden heraus. „Mama wollte dich nicht verlassen. Sie war krank und deshalb musste sie gehen. Ich weiß ganz genau, dass sie sonst hier mit uns zusammen wäre.“ Während Tari weiterhin versuchte ihren Vater zu beruhige,  lockerte sie den Nagel Stück für Stück aus dem Boden.

„Nein, nein, nein!“ schrie der Meckertroll und stürzte zu ihr, bevor er schrie: „Lüg mich nicht an!“

Unterdessen...

„Tari! Tari!“ Im gesamten Wald hallte dieser Ruf wieder. Normalerweise mieden die Wichtel den Wald, doch heute wo sie alle da waren, fürchteten sie sich nicht. „Tari! Tari!“ Sogar in der Meckertrollhöhle konnten die verzweifelten Rufe gehört werden. Fips und Rori stürzten hinaus in den Wald. Nicht weit von ihrer Höhle konnten sie den roten Mantel des Weihnachtsmannes sehen, der sich langsam durch den Wald bewegte. So schnell sie konnten stürmten sie auf ihn zu. „Was ist mit Tari?“, schrien sie schon von weitem. Als sie vor dem Weihnachtsmann zum Stehen kamen, begann dieser so schnell er konnte zu erzählen, was geschehen war. Rori rannte sofort zurück zur Höhle um die anderen Trolls zu hohlen. Er würde sie dazu bringen mit der Weihnachtsmannwerkstatt zusammen zu arbeiten. Komme was wolle. Fips dagegen blieb. Er erzählte dem Weihnachtsmann von dem alten Gang in den Felsen, welcher in ein verstecktes Tal führte.

Der Weihnachtsmann rannte zusammen mit Mina und Magnus dem Troll hinterher, während sich dieser einen Weg durch den Wald bahnte. Er führte sie zu einigen Felsen und ohne auch nur das mindeste bisschen abzubremsen, rannte er auf sie zu, bevor er durch einige Schlingpflanzen hindurch verschwand. Während Mina und der Weihnachtsmann ihr Tempo etwas verlangsamten um den Gang genauer zu untersuchen, preschte Magnus dem Troll hinterher. Direkt hinter dem Tunnel machte der Weg plötzlich eine scharfe Kurve und beinahe wäre Magnus dort den Hang hinunter gestürzt, hätte der alte Troll ihn nicht festgehalten. „Dort unten ist der Bunker beeil dich. Ich warte hier auf deine Freunde.“ Magnus nickte und rannte den steilen Pfad entlang auf die Spitze der Felsen zu.

In dem Bunker...

„Papa bitte, du kannst mir vertrauen. Ich werde nicht wegrennen“, versuchte Tari es erneut. „Nein, nein, nein. Sie sagen mir aber was anderes.“ Verwirrt blickte Tari sich um. „Wer sagt dir etwas anderes Papa?“ Der Troll schaute seine Tochter verwirrt an. „Na die Stimmen.“ Plötzlich schnellte der Troll herum und blickte zum Fenster. „Er kommt. Nein! Nein! Nein! Er darf nicht kommen. Das gehört nicht zum Plan!“ Schnell machte er Tari los und zerrte sie zur Hintertür heraus. Magnus riss die Tür auf und durch das Fenster konnte er den Meckertrollkönig sehen wie er mit Tari immer weiter zum Abgrund zurückwich. Er rannte sofort hinterher.

„König! Warten Sie!“ schrie Magnus. „Bleib weg von uns! Bleib einfach weg!“ Verzweifelt versuchte Tari den Arm, welcher ihr den Hals abdrückte, zu lösen. Der Troll wich immer weiter zurück und Magnus wurde bleich. Nur noch wenige Schritte und sie würden stürzen! „Ich bitte sie mein König“, rief Magnus nochmal. „Nein! Nein! Nein!“ Tari sah aus dem Augenwinkel wie ihr Vater nach dem Messer griff, welches er immer bei sich trug und sie wusste genau, dass er es auf Magnus schleudern wollte. „Nein!“, schrie sie so laut wie sie konnte und schmiss ihren Kopf mit aller Wucht nach hinten. Im Schock riss der Troll den Arm, den er vorher um den Hals seiner Tochter gelegt hatte hoch zu seiner Nase. Tari fiel zu Boden und keuchte heftig. Der Meckertrollkönig taumelte nach hinten. Plötzlich glitt einer seiner Füße aus und er rutschte ab. Tari versuchte noch nach ihm zu greifen, doch sie konnte ihn nicht mehr erreichen und so fiel der König der Meckertrolls in die Tiefe hinab. Magnus rannte hinüber zu Tari und schloss sie in seine Arme während sie zitternd zu schluchzen begann. In diesem Moment kamen auch die anderen angerannt, aber Magnus bedeutete ihnen stehen zu bleiben. Die beiden blieben dort bis Tari aufgehört hatte zu schluchzen und keine Tränen mehr kamen. „Na komm, lass uns nach Hause gehen.“, flüsterte Magnus sanft und half Tari sich aufzurichten. Gemeinsam gingen sie langsam den schmalen Pfad hinunter und durch den Wald zurück ins Wichteldorf.

Die nächsten Tage vergingen unglaublich schnell und gleichzeitig wie in Zeitlupe. Die Alpträume, die Tränen, alles. Tari hatte das Gefühl das die Welt aus ihrem Gefüge gerutscht war und alles außer Kontrolle geriet. Die erste Zeit konnte Magnus sie kaum dazu bewegen etwas zu essen oder das Bett zu verlassen, geschweige denn vor die Tür zu gehen. Erst die Beerdigung schaffte es sie wieder in die Realität zurückzubringen. Von nun an brachte Magnus sie regelmäßig zur Wichteltherapie und in jeder Nacht in welcher sie schweißgebadet aus ihren Träumen aufschreckte, flüsterte Magnus ihr das Selbe ins Ohr „Wir schaffen das. Gemeinsam.“ Sie wussten beide, dass das die Wahrheit war.

Ein Jahr später...

Tari war nun die Königin der Trollwelt, als rechtmäßige Erbin des Throns. Die erste Verordnung die sie erlassen hatte war diese, dass der Streit zwischen der Weihnachtsmannwerkstatt und den Meckertrolls mit sofortiger Wirkung enden sollte. Viele des Trolls waren entsetzt darüber gewesen, aber nachdem sie es akzeptiert hatten, waren sie alle so viel glücklicher als zuvor. Die Meckertrollhöhle wurde ausgebaut und schöner gestaltet, um dort ein angenehmeres zu Hause für alle zu schaffen und es stand jedem frei zu leben wie und wo er oder sie wollte. Die Trolls und die Wichtel lebten glücklich zusammen, sie lachten feierten und tanzten. Schon bald konnte sich keiner mehr daran erinnern, warum sie denn überhaupt jemals verfeindet waren.