Der Ingwer und die Taubenskabiose

„Gaaa….“ Frustriert verscheuchte die Taubenskabiose die ganzen Bienen und Hummeln, die ihr um die Blüten flogen. „Lasst mich doch einfach mal in Ruhe meine Güte. Seht ihr denn nicht, dass ich schlecht gelaunt bin.“ Fluchend grub sie ihre Wurzeln aus und stapfte davon. Heute war einfach ein fürchterlich schlechter Tag. Noch nicht einmal die Sonne schaffte es die Taubenskabiose aufzuheitern. Stattdessen lief sie zu dem nächstbesten Felsen und ließ sich in seinem Schatten fallen.

Vorsichtig kam das Seifenkraut ihr nach. Sie hatte den Wutausbruch von gerade eben gesehen und sie hasste es, wenn Leute wütend waren. So tat sie immer ihr bestes um die anderen wieder zum Lachen zu bringen, aber dazu musste sie erst einmal wissen was los war. „Ist alles in Ordnung?“, fragte es die Skabiose leise. Diese schnaubte und drehte sich weg. Sie wusste, dass das Seifenkraut fürchterlich sensibel war was ihre Gefühle anging und so entschied sie sich ihr nichts zu sagen, bevor sie sich nicht kontrollieren kann und gemein werden würde.

„Schau mal, ich habe sogar von Küchenschelle dein liebstes Nektareis besorgt.“ Das Seifenkraut hielt ihr die Nussschale entgegen bevor es dazu fügte: „Sogar mit extra Himbeersauce.“ Diesem Angebot konnte die Taubenskabiose einfach nicht widerstehen, denn es war zu gut. Genüsslich löffelten die beiden so ihr Eis und genossen die Stille um sie herum. Doch wie befürchtet kam irgendwann diese Frage vor der die Taubenskabiose sich heute so unbedingt drücken wollte: „Nun erzähl schon, was ist los?“ Die Skabiose seufzte und rieb sich über das Gesicht. „Gestern war mein Date mit dem Ingwer“, sagte sie und seufzte erneut. „Oh je. Es tut mir immer noch so leid, dass du das meinetwegen tun musstest.“ Das Seifenkraut ließ den Kopf hängen. „Ach wo das war es mir Wert“ Die Skabiose legte dem Seifenkraut ein Blatt auf die Schulter, „Aber trotzdem. Ich bin noch mit niemandem ausgegangen wo das Date so ein Reinfall war. Ich hatte ja von vornherein keine allzu hohen Hoffnungen, aber das war wirklich fürchterlich.“ Sie schüttelte den Kopf.

Ungefähr zur selben Zeit…

„Na Ingwer wie lief es gestern“ fragte der Arzneithymian als er den Ingwer endlich gefunden hatte. Er hatte von dem Date mit der Taubenskabiose gehört, und war einfach zu neugierig darauf was geschehen war um nicht zu fragen, selbst wenn er und der Ingwer nicht unbedingt die dicksten Freunde waren. Der Ingwer seufzte nur und drehte sich weg. Verwundert blickte der Thymian ihn an. Das war absolut nicht die Art des Ingwers. „Ich schätze der Reaktion zu Folge nicht wirklich gut“ sagte der Thymian vorsichtig. Der Ingwer seufzte wieder und begann Bilder von gebrochenen Herzen in den Sand zu malen. „Erzähl doch erstmal was genau schief gelaufen ist.“ Dem Thymian tat der Ingwer so schon fast leid. „Alles!“ brach es plötzlich aus dem Ingwer heraus. „Einfach alles was irgendwie schieflaufen konnte ist schief gelaufen! Ich wollte ihr zeigen, dass ich nicht nur der Idiot bin den ihr alle kennt, sondern, dass ich mehr sein kann! Für sie! Aber ich war so nervös darüber, ob sie mich mögen würde, dass ich alles versaut habe. Sie wird mich niemals wieder sehen wollen.“ Der Ingwer ließ den Kopf hängen. Der Ingwer sah so zerknirscht aus, dass der Thymian nicht anders konnte als dem Ingwer zu helfen, selbst wenn dieser in der Vergangenheit zu ihm nicht gerade nett gewesen war. „Erzähl mir erst was genau geschehen ist, dann entscheiden wir wie wir als nächstes handeln werden.“

Anderswo…

„Angefangen hat alles damit, dass er mich viel zu spät abgeholt und sich dann nicht einmal dafür entschuldigt hat. Ich habe ein halbe Stunde im Regen auf ihn gewartet und sah aus wie ein begossener Pudel. Fünf Minuten länger und ich wäre nach Hause gegangen. Naja, das wäre wohl wesentlich angenehmer gewesen was danach kam, aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich das noch nicht. Also dachte ich mir, als er dann endlich kam, ich bin mal nicht so und gebe ihm noch eine Chance und sehe mir an was der Rest des Abends bringt. Wir sind in das Restaurant 'Zum Weidenkätzchen' gegangen. Dort ist es wirklich sehr nett, aber nun kann ich mich da bestimmt nicht mehr blicken lassen.“ seufzte sie. „Tatsächlich begann alles ganz gut. Er schob mir den Stuhl hin, sodass ich mich bequem setzen konnte und bestellte eine Flasche wunderbaren Wein. Aber dann hat er angefangen zu reden und schon war alles Positive wieder zu Nichte gemacht. Er redete und redete und redete. Angefangen hat er damit, über seine Ex zu erzählen und davon wie sehr sie auf ihn abgefahren sei. Er meinte, dass er deshalb Schluss gemacht hat, weil sie so fürchterlich anhänglich war. Wohl kaum. Dann hat er damit weiter gemacht das Aussehen jeder einzelnen Pflanze im Restaurant zu bewerten, wo ich mich wirklich langsam fremd geschämt habe. Ich meine er hat sogar vor denen am Nachbartisch keinen Halt gemacht. Bis er seinen ersten Schluck Wein getrunken hatte, war ich schon leicht beschwipst von meinem dritten Glas.

Als der Ober mir dann zum vierten Mal nachschenken wollte und mich mitleidig ansah, musste ich mir von unserem Freund dem Ingwer anhören, dass ich in dem Wein meine Unsicherheiten ertränken würde. Ja genau! Ich wollte eher ihn in diesem Moment ertränken. Ich war schon kurz davor dem Ober die Flasche zu entreißen und sie nach dem Ingwer zu werfen, doch dann hätte ich sie bezahlen müssen und vermutlich eine Anzeige wegen Körperverletzung am Hals gehabt. Deswegen habe ich bis hundert gezählt und mich zusammen gerissen. Aber Mal im ernst, wenn sich hier mal jemand über seine Unsicherheiten klar werden müsste, ist das ganz eindeutig der Ingwer.

Die Krönung war dann als er seinen Spiegel aus der Tasche zog und begann zu singen, mitten im Restaurant noch dazu: 'Ich bin so scharf, ich bin so heiß, ich bin so scharf, ich bin so heiß'. Ich meine wer tut denn so was? Willst du wissen was ich dann getan habe? Ich habe das Geld für mein Essen auf den Tisch geworfen und bin ohne auch nur ein Wort zu sagen aus dem Restaurant gegangen. Hoffentlich lässt mich dieser Vogel ab jetzt einfach in Ruhe.“

Mitfühlend legte das Seifenkraut ihr ein Blatt auf die Schulter. „Das schreit förmlich nach einer zweiten Portion Nektareis mit extra viel Himbeersauce“

Unterdessen…

Der Thymian hörte aufmerksam zu während der Ingwer berichtete. Er hatte nicht erwartet, dass der Ingwer so nervös sein würde. Beispielsweise war er nur zu spät zu dem Date, weil er sich nicht traute zu ihr zu gehen um sie zu begrüßen. Stattdessen stand er eine halbe Stunde hinter einem der Felsen und versuchte den Mut aufzubringen einfach loszulaufen. Und der ganze Müll den er den Abend lang von sich gegeben hatte war alles bloß Mist, den er gesagt hatte um sicher zu gehen, dass sie ihn auf keinen Fall mag. So wusste er wenigstens dass es daran lag, weil er sich wie der letzte Idiot benommen hatte und dass es nicht daran lag wie er wirklich war.

„Wir werden folgendes tun...“, sagte der Thymian zu dem betrübten Ingwer nachdem dieser seine Geschichte beendet hatte. Aufmerksam hörte der Ingwer auf jedes Wort das der Thymian sagte.

Am selben Abend…

„Nanu was ist denn das?“, fragte sich die Taubenskabiose als sie wieder zurück zu ihrem Zuhause kam. Da lag ein Brief für sie im Gras. Als sie ihn aufhob war es eigentlich schon fast klar von wem er sein müsste, denn im Königreich der Pflanzen waren die Distanzen einfach nicht so groß, dass man sich nicht schnell persönlich unterhalten könnte. Für einen kurzen Moment rang sie mit sich selbst, ob sie den Brief vom Ingwer überhaupt öffnen sollte. Doch irgendwie käme es ihr falsch vor das nicht zu tun.

Mein liebstes Täubchen,

Du hast die schönsten Augen die ich je gesehen habe und das wundervollste Lächeln auf Erden. Du blühst noch schöner als jede andere Pflanze auf der Welt und ach, ich könnte noch stundenlang so weiter machen, denn du bist die wunderbarste Pflanze die mir je in meinem Leben begegnet ist. Ich weiß du wünschst dir vermutlich, dass ich von dir fern bleibe und aus deinem Leben verschwinde, doch das kann ich nicht. Nicht ohne mich zu erklären, nicht ohne dass du weißt wer ich wirklich bin und vor allem nicht ohne mich zu entschuldigen

Du denkst, da bin ich mir sicher, dass ich der letzte Vollidiot bin und das ist etwas was ich dir ehrlich nicht verübeln kann, denn genau so habe ich mich verhalten. Als wir ausgegangen sind war mein einziger Vorsatz für diesen Abend dir zu zeigen, dass das nicht mein wahres Ich ist. Das ich anders bin als dieser Vollidiot, der jeden Tag nichts als dummes Zeug von sich gibt. Aber ich habe alles vermasselt und diesen einen Vorsatz den ich hatte gebrochen. Warum nur, warum? Es war klar, dass das alles ruinieren würde. Darüber habe ich die ganze Nacht gegrübelt und die Wahrheit ist: Ich hatte Angst. Ich hatte mehr Angst, als ich je zuvor in meinem Leben hatte. Ich hatte Angst davor, dass du mich nicht mögen könntest und statt es einfach herauszufinden habe ich mich hinter meiner Maske versteckt und dafür gesorgt, dass du mich auf keinen Fall mögen kannst. So konnte ich mir wenigstens noch vorspielen, dass irgendwann alles gut wird, weil du dann weißt wie ich wirklich bin. Doch ich will nicht länger in meinen Gedanken leben.

 Es tut mir leid mein Täubchen, jedes bisschen davon. Es tut mir leid, dass du auf mich im Regen warten musstest, während ich versucht habe den Mut aufzubringen um zu dir zu gehen. Es tut mir leid was ich im Restaurant gesagt habe, zu dir und auch über all die anderen Pflanzen. Es tut mir leid, dass ich deinen Abend ruiniert habe. Es tut mir einfach alles leid. Du verdienst alles Glück der Welt und mehr als alles andere wünsche ich mir, dass ich ein Grund für dieses Glück sein kann. Bitte gib mir noch eine letzte Chance, dir zu beweisen, dass ich anders bin.

Wenn du das kannst, dann triff mich bitte am alten Baumhaus morgen Abend um 7 Uhr, wenn nicht werde ich das respektieren und für immer aus deinem Leben zu verschwinden.

In Liebe

Dein Ingwer

Lange dachte die Taubenskabiose darüber nach was der Ingwer geschrieben hatte. Das sah ihm wirklich nicht ähnlich, so ein Brief. Der Macho den sie kannte würde niemals zugeben, dass er Angst hatte oder dass er etwas falsch gemacht haben könnte. Sie überlegte noch bis zum letzten Moment ob sie sich darauf wirklich nochmal einlassen wollte, doch schließlich entschied sie sich dazu ihm diese letzte Chance zu geben. In dem Moment wo sie ihr Zuhause verließ, seufzte sie. Sie wusste nicht wieso sie das hier tat, eigentlich hatte diese Pflanze das nicht verdient. Auf der anderen Seite konnte etwas Schlimmeres, als das sie eine weitere Geschichte die sie ihren zukünftigen Enkelkindern erzählen könnte, nicht passieren.

Als sie an diesem Abend zum Treffpunkt kam, wartete der Ingwer dort bereits auf sie. Er streckte ihr ein Blatt entgegen und sie nahm es. „Danke, dass du mir noch eine Chance gibst.“ Die Taubenskabiose lächelte, als sie sah wie er kurz rot wurde nachdem er das gesagt hatte. Gemeinsam gingen sie an dem alten Baumhaus vorbei und zwischen den Bäumen hindurch auf eine kleine Lichtung.

Überall brannten dort Kerzen um sie herum und die Glühwürmchen flogen umher. Die Taubenskabiose war völlig erstaunt. Sie ließ das Blatt des Ingwers los und machte ein paar Schritte auf die Lichtung hinaus und sah sich um. Es war wunderschön. In der Mitte der Lichtung lag eine Picknickdecke auf der ein Korb stand, in welchem alle möglichen Leckereien waren. Als der Ingwer und die Taubenskabiose sich setzten, begannen die Grillen mit ihrem Konzert, einzig und allein für den Ingwer und die Taubenskabiose. Es war, als wären sie auf einem anderen Planeten gelandet. So saßen sie nun gemeinsam da und lauschten dem Zirpen. Sie redeten über dies und das. Sie lachten und scherzten. Es kümmerte sie nicht, wie spät es geworden war denn die beiden waren einfach glücklich beisammen zu sein. Selbst als die Grillen aufhörten zu musizieren und die Glühwürmchen sich verabschiedeten blieben sie dort. Noch nicht einmal das Erlöschen der Kerzen störte sie. Sie blieben einfach dort in diesem Moment und blickten in den nächtlichen Sternenhimmel, glücklich damit zusammen zu sein.

Erst in den frühen Morgenstunden, als die Nacht sich verabschiedete und ein neuer Tag begann, traten sie den Weg zurück zu ihrer Wiese an. Der Ingwer begleitete die Taubenskabiose nach Hause. Sie lächelte, als der Ingwer unsicher, von einem auf den anderen Fuß trat als sie sich verabschiedeten. Und so beugte sie sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Der Ingwer wurde feuerrot und grinste ein Grinsen welches unmöglich noch breiter werden konnte, was die Taubenskabiose zum Kichern brachte. Mit beschwingtem Schritte mache er sich zurück auf den Weg nach Hause. In diesem Moment fühlte er sich glücklicher als er je davor war. Dort angekommen dauerte es nicht lange bevor er einschlief und das einzige was in dieser Nacht seine Träume beflügelte war der Gedanke an die Taubenskabiose und ihr wunderschönes Lächeln.